Toxic Waste “625 Dinge” – Rezension

Auf der linken Seite ist das Buch „625 Dinge, die ein Mädchen wissen muss und getan haben sollte, bevor die zur Frau wird“ von Katrin Nusshold. Auf der recten Seite ist das Buch „625 Dinge, die ein Junge wissen muss und getan haben sollte, bevor er zum Mann wird“ von Stephan Borchers. Dazwischen ist die Schneemanntasse.

Das Buch „625 Dinge“ gibt es in zwei Varianten, einmal für Mädchen und einmal für Jungen. Beide präsentieren sich als Ratgeber und vom Titel her auch als empfehlenswerte Handlungsanweisung. Diese Bücher richten sich an Jungen und Mädchen kurz vor oder in der Pubertät und sind von Katrin Nusshold und Stephan Borchers geschrieben.

Das sollte der lobenden Worte genug sein. Diese Bücher sind schrecklich, urteilend, geben falsche bis gefährliche Informationen und dienen im Fall der Jungsversion nur dazu, den Jungen zu einem toxischen Arschloch zu entwickeln. Das sind harte Worte, gebt mir Zeit dies zu erläutern.

Beide Bücher stellen von Anfang an unmissverständlich klar, für wen diese Bücher sind und das sowohl trans Jungen bzw. trans Mädchen hier nichts verloren haben. Borchers stellt auf der ersten Seite klar, dass dieses Buch nur für den hetero cis Jungen ist, der so cis und hetero ist, dass alles was in irgendeiner Weise auch nur um Ansatz mit Mädchen assoziiert wird, abprallt und das mit einer Ernsthaftigkeit und Selbstverständlichkeit vorgetragen, dass ich nicht von Ironie ausgehen kann.[1] Das erste Kapitel soll Informationen über Mädchen geben und heißt „25 Dinge die du unbedingt über Mädchen wissen solltest“. Der erste Unterpunkt ist mit „Mädchen und Melonen“ betitelt. In sexistischer Weise schreibt der Autor über Brüste bei Mädchen und gibt diesen Obstnamen. Viel kritischer ist der Text hinsichtlich der sexuellen Selbstbestimmung, da der Autor vorgibt was der Junge mit den Brüsten des Mädchens anfangen kann. „Nämlich zuerst einmal: sie ansehen, was bereits beträchtlichen Spaß macht. Zweitens, allerdings erst wenn du das Mädchen (und ihre Brüste) schon länger kennst: sie anfassen […].“[2] Somit gibt der Autor Jungen den Freifahrtschein auf Brüste von Mädchen zu starren, was ein übergriffiges Verhalten ist. Noch schlimmer ist, dass er Jungen sagt, dass dieser ohne die Einwilligung des Mädchens, ihre Brüste anfassen darf, wenn beide sich nur lange genug kennen. Im gleichen Kapitel wird gesagt, dass Mädchen sich auch selbstbefriedigen. Das wäre an sich ein gutes Unterkapitel, aber Borschers bedient sich auch hier einer unmöglichen Darstellung und behauptet, dass Mädchen während der Selbstbefriedigung an Pferde denken würden, wegen derer großen Hoden.[3] Das ist in so einem ernsten Ton geschrieben, dass ich nicht von einem üblen Witz ausgehen kann. Ansonsten ist das Kapitel gespickt mit sexistischen Klischees und einer Besserstellung des Jungen, da sein Verhalten als normal gewertet wird.

Es gibt ein Kapitel mit 25 Tipps zum Sex, das ebenfalls normierend ist. So definiert er Sex so, dass Solosex z.B. nicht darunter fällt und immer eine sexuelle Handlung von mindestens zwei Menschen ist, wobei führ ihn auch Tiere und Pflanzen zählen. Das heißt er empfiehlt Jugendlichen, unter Umständen eine Straftat zu begehen. Borschers sagt zwar, dass Sex zwischen zwei Jungs auch ok ist, aber das Kapitel ist eigentlich nur cis heteronormativ aufgebaut. Unterkapitel drei ist extrem transfeindlich, da laut ihm nur Mädchen und diese immer eine Vagina haben, in die auch ein Penis hineingehört. Borchers ist immerhin so gnädig und gibt somit den einzig richtigen Hinweis in dem Kapitel, dass Nein Nein heißt und es zu akzeptieren ist. Eigentlich ist es schlimm, dass ich dies als besonders hervorheben muss, da dies eine Selbstverständlichkeit bei aktueller Aufklärungsliteratur ist. Gleichzeitig hält er es für normal, dass es zu Schmerzen beim Sex kommt, besonders wenn es die ersten Male sind „[…] und kein Zeichen dafür, dass du Fehler machst.“[4] Nein, Sex sollte nicht weh tun und abgebrochen werden, außer es gibt einen festgelegten Konsens zwischen den Partner*innen und auch das muss bei Unwohlsein abgebrochen werden. 

Des Weiteren gibt es ein Kapitel, in dem Tätigkeiten genannt werden, die ein Junge gemacht haben sollte. Darunter zählt auch, dass ein Junge einen anderen Jungen mal geküsst haben sollte. Problematisch wird es, da am Ende dieser Anweisung gesagt wird, dass es ansonsten einfach nur mal dazu dient die Eltern zu schocken. In diesem Kapitel werden noch weitere Dinge gesagt, die Jungen mal gemacht haben sollten unter anderem: Alkohol trinken, rauchen, die Schule mal zu schwänzen und bei einer Klassenarbeit zu betrügen. Das sind alles keine Dinge, die ein Junge gemacht haben muss und legen nur offen, dass Jungen, um Männer zu werden ein destruktives Verhalten an den Tag legen sollten.

In einem Kapitel sagt der Autor was Jungen nie in den Mund nehmen sollten. Auch hier ist das Kapitel von Stereotypen zur Männlichkeit durchsetzt. So sollten Jungen kein Tofu, Salat, Veggie-Burger, Gemüse, Frühlingsrollen, Suppe, Tomatensaft, alkoholfreies Bier zu sich nehmen und insgesamt sämtliche vegane Ernährung ablehnen. Wie sehr die „Ernährungsempfehlung“ von toxischer Männlichkeit durchsetzt ist, kann an der Empfehlung erkannt werden, nie einen Erdbeermilkshake zu trinken. Dieser ist rot und pink und somit weiblich codiert. Außerdem befindet sich in diesem Kapitel antiasiatischer Rassismus über Chines*innen und dem Verzehr von Haustieren. Eine gefährliche Empfehlung ist es, dass Jungen nie ein Kondom in den Mund nehmen sollten, was letztendlich ungeschützten Oralsex bedeuten könnte.

Das Buch gibt ansonsten noch weitere Tipps, die eher sinnlos sind. So gibt es etwa ein Kapitel, dass sich damit beschäftigt, wie sich eine Junge bei einer Zombieapokalypse verhalten sollte. Ich finde das eher unpassend für ein Buch, dass von Pubertät und Sexualaufklärung handelt.

Mit einem weiteren Verhalten beweist der Autor seine Unmoral. Er empfiehlt nämlich den Lesenden gleich zwei Mal in einem Kapitel seine Bücher zu lesen. Das ist kein guter Stil.

Das andere „625 Dinge“ Buch ist von Katrin Nusshold und richtet sich an heterosexuelle cis Mädchen und beinhaltet ebenso sexistische Klischees und schlimme Handlungsempfehlungen. Ich würde es aber als ein bisschen weniger schlimm erachten als das Jungsbuch.

Die wohl schlimmsten Empfehlungen macht die Autorin im Kapitel über Sex. In mehreren Unterkapiteln wird das Mädchen auf die Schmerzen beim ersten Sex vorbereitet. Laut der Autorin ist der erste Sex immer schmerzhaft und das Mädchen muss da halt einfach durch. Auch hier wieder Nein. Schmerz ist ein Zeichen, dass es dem Körper nicht gut geht und darauf muss gehört werden. Es ist keine Hilfe, wenn Mädchen gesagt wird, dass es eben halt so ist und sie halt nur die Zähne zusammenbeißen müssen. Daneben sieht die Autorin Selbstbefriedigung nur als eine Sache für die Partnerlosigkeit. Auch das stimmt so nicht und sollte von jedem Mädchen selbst entschieden werden. Das ist besonders fatal in Kombination mit der Normalisierung des schmerzhaften Sex und lässt ein Mädchen keine wohltuende Befriedigung erlernen. Es wäre besser, wenn die Autorin die korrekten Worte nutzen würde und von Vulva spräche, wenn sie die äußeren sichtbaren Geschlechtsteile meint.

Ein ebenfalls schreckliche Kapitel beschäftigt sich mit Körperbehaarung. Für Nusshold gibt es dort nur eine mögliche Antwort und somit nur eine Art, wie Mädchen mit ihrer Körperbehaarung umgehen können. Es muss sämtliche Körperbehaarung entfernt werden ohne Ausnahme. Natürlich kann ein solches Buch Methoden zur Haarentfernung erklären. Aufgabe sollte es aber sein, Mädchen insofern zu stärken, dass sie selbst für sich entscheiden können, wie sie mit ihrem Körper umgehen und nicht einem vermeintlichen Druck von außen sich fügen müssen.

Ein Klischee, das dieses Buch bedient, ist die Annahme, dass Mädchen sich weniger für Filme interessieren, keine Ahnung von Geschichte (es fällt auf, dass die Autorin keine Historikerin ist) haben und ansonsten am Weltgeschehen wenig Anteil nehmen. Dass dies einfach so nicht stimmt, kann an so etwas wie der Klimaschutzbewegung Fridays for Future gesehen werden, bei der ein Großteil der Aktivist*innen Mädchen und junge Frauen sind. In eine ähnliche Richtung gehen die Hinweise bezüglich des Aussehens und insgesamt die Hinweise zu Dingen, die ein Mädchen getan haben sollte.

Ja „625 Dinge die ein Mädchen wissen muss“ ist weniger toxisch als „625 Dinge die ein Junge wissen muss“, aber das heißt nicht, das Buch wäre in irgendeiner Form gut. Dafür sind die problematischen Stellen viel zu bedenklich und gefährlich in den Aussagen.

Insgesamt sind beide Bücher unbrauchbar und die Autor*innen geben Jugendlichen Tipps, die deren Leben nicht besser machen werden. Die Bücher können auch nicht als gute Aufklärungsliteratur angesehen werden, sie werden aber als solche vermarktet. Dafür fehlen einfach zu viele wichtige Dinge über Gender und sexuelle Orientierung. Diese Bücher sollten Jugendlichen nicht in die Hand gegeben werden.

Katrin Nusshold: 625 Dinge, die ein Mädchen wissen muss und getan haben sollte, bevor die zur Frau wird. Schwarzkopf & Schwarzkopf 2020, 459 Seiten.

Stephan Borchers: 625 Dinge, die ein Junge wissen muss und getan haben sollte, bevor er zum Mann wird. Schwarzkopf & Schwarzkopf 2018, 406 Seiten.

[Keine bezahlte Werbung. Das Buch ist aus der örtlichen Stadtbibliothek entliehen]


[1] Brochers, Stephan: 625 Dinge, die ein Junge wissen muss und getan haben sollte, bevor er zum Mann wird. Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin 20186, S. [6]-[7].

[2] Ebd. S. [12].

[3] Ebd. S. 21

[4] Ebd. S. [107]

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